Mein Vater hat mir schon als Leichtmatrosenknirps immer eingebläut: Sei vorsichtig mit Deinen Wünschen. Sie könnten in Erfüllung gehen. Klein-Pirat hat sich da natürlich erstmal nur gedacht: Wieso dann vorsichtig sein? Ist doch gut! Erst wesentlich später habe ich gelernt, daß die Erfüllung unserer Wünsche auch ungeahnte Implikationen und Konsequenzen mit sich bringen kann. Die unter Umständen weniger toll sind.
Und wer formuliert seine Wünsche schon immer so exakt und genau, daß sowas völlig ausgeschlossen ist.
In einer Akte X-Folge wurde das wunderbar dargestellt. Die Hauptfigur Mulder wünschte sich Frieden auf Erden...und fand sich als einziger Mensch auf einem ansonsten leeren Planeten wieder. Ist dumm, wenn man zumindest die nette Kollegin Scully zum quatschen und poppen gern dabei hätte...
Man sollte sich daher immer bewußt machen: Wer einen Wunsch erfüllt haben will, muß auch mit den Konsequenzen leben können. Ohne wenn und aber und vor allem ohne nachträgliches Jammern.
Die derzeitige Nordafrika-und Nahostpolitik - in der Taverne wurde bereits mehrfach über das Thema berichtet, wenn auch zuletzt seltener als ich mir gewünscht hätte - bietet mal wieder ein gutes Paradebeispiel dafür.
Wie gestern berichtet wurde, hat der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs einen Haftbefehl gegen Gaddafi beantragt. Das löste nicht nur bei den libyschen Aufständischen Jubel aus. Auch Menschenrechtler feiern dies als einen Fortschritt in Sachen Menschenrechte und auch bei westlichen Regierungen wurde dies überwiegend begrüßt.
Der Wunsch ist auch sehr verständlich, auch ich habe ihn: Diktatoren wie Gaddafi müssen dafür zur Rechenschaft gezogen werden, was sie verbrochen haben. Spätestens seit den Nürnberger Prozessen ist dies eigentlich ein weit verbreiteter Wunschtraum, der nur bisher meist hinter pragmatischer Tages-und Machtpolitik zurücktrat. Angesichts der gestürzten Herrscher in Tunesien und Ägypten ist die Verwirklichung dieses Wunsches wieder aktuell geworden.
Etwas untergegangen ist dabei, daß gegen den sudanesischen Präsidenten Baschir bereits seit 2010 ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt. Was auch damals von vielen durchaus begrüßt wurde.
Die Logik ist auch bestechend. Wenn Otto-Normalbürger jemanden umbringt oder sonstwie bedrängt, wird er verhaftet und kommt vor Gericht. Für so ungeheuerliche Verbrechen wie sie Diktatoren meist aufm Gewissen haben, sollte das durchaus auch gelten.
Klar. Bin ich voll dabei. Nur merke ich immer wieder, daß den meisten nicht klar ist, was dieser Wunsch impliziert.
Also, kommen wir zu den unschönen Seiten dieses Wunsches. Diese betreffen vor allem seine praktische Umsetzung. Der Internationale Strafgerichtshof bräuchte ein Exekutivorgan, daß Haftbefehle vollstreckt. Bisher heißt es, daß müßten halt die Staaten selbst machen. Man denkt dabei daran, daß die Bevölkerung selbst den Typen festsetzt oder aber andere Staaten wenn ein Angeklagter diese besucht. Beides stößt an seine Grenzen:
Das die unterjochte Bevölkerung in der Lage ist, eine Festnahme zu schaffen oder zu erzwingen, wie jüngst in Ägypten z.B. bleibt eher die Ausnahme. Wäre das so einfach, würden sich Diktatoren kaum so lange halten. Und andere Staaten? Die wenigsten Diktatoren sind so blöd, einen Staat zu besuchen, der das tatsächlich machen würde. Und machen tun das nur Staaten, die das machtpolitisch für opportun halten. Im Falle Baschirs bedeutet das, das er durch Afrika tingeln kann und sicher sein darf, daß ihn kein Amtskollege festsetzt. Schon allein um keinen Präzedenzfall zu schaffen. Für Gaddafi darf man wahrscheinlich vergleichbares vermuten.
Damit werden diese Anklagen überwiegend zu Symbolpolitik. Außer man ergreift die Alternative: Staaten mit entsprechendem Willen erledigen den Zugriff. Das hat es verschiedentlich gegeben. Auf dem Balkan z.B. Oder auch in Westafrika und im Kongo, wo UNO-Truppen Milizführer verhafteten. Ein Ausnahmefall war die Festnahme von Charles Taylor in Westafrika - ein echt großer Fisch, weil immerhin ein Ex-Staatsführer. Sogar durch regionale Behörden. Man darf vermuten auf wirtschaftlichen Druck.
Ein weiterer Ausnahmefall war Saddam Hussein, der von den USA 2004 festgenommen wurde und dann von einem irakischen Gericht abgeurteilt wurde.
Bereits diese Fälle machen die Krux offenbar: Auf dem Balkan hat man nur mit wirtschaftlichen Sanktionen und einem Eingreifen in den Krieg in Bosnien die Voraussetzungen für eine Festnahme schaffen können. In Afrika erwischt es überwiegend die Milizführer, die auf der Verliererseite der jeweiligen Bürgerkriege standen. Auch Charles Taylor hatte den Krieg verloren. Und der Fall Saddam Hussein - nun ja, ohne den Krieg von 2003 hätte der Typ wahrscheinlich nie ein Gericht von der Angeklagtenbank aus gesehen.
Letztlich bleibt die Festnahme ein massiver Eingriff in die Souveränität des betroffenen Staates. Vor allem wenn die Zielperson noch an der Staatsspitze steht. Ein Kommandounternehmen wie gegen Bin Laden, zumal das ja nicht zum gewünschten Gerichtsverfahren führte (und Bin Laden war auch kein amtierender Staatschef) ist nicht minder riskant. An die meisten Diktatoren ist auch so kaum ein rankommen wegen der hohen Sicherheitsmaßnahmen.
Meist durfte es nur massiver gehen.
Ums mal beim Namen zu nennen: Das bedeutet Krieg. Ein Gaddafi wehrt sich. Wir sehen es ja. Auf Teufel komm raus. Man wird ihn nicht mit warmen Worten vors Gericht komplimentieren können. Ein Otto-Normal-Straftäter widersetzt sich auch oft und muß dann von Polizisten mehr oder weniger gewaltsam niedergerungen werden. Übertragen auf Diktatoren und Staaten bedeutet das: Krieg.
Das stößt auf verschiedentliche Probleme. Zum einen ist das Völkerrecht sehr indifferent diesbezüglich. Eigentlich kann nur der UN-Sicherheitsrat zum Waffengang ermächtigen (wenn ein Diktator nicht grade so dumm ist einen stärkeren Feindstaat als erster anzugreifen) und bis das der Fall ist...meistens friert eher die Hölle zu. Die Resolution in Sachen Libyen war da echt schon ein überraschender Ausnahmefall und selbst diese sieht nicht vor, Gaddafi festzunehmen und vor Gericht zu zerren. Alles andere jedenfalls ist ein Angriffskrieg, mit dem man sich selbst ins Unrecht setzt...völkerrechtlich gesehen. Das war z.B. 2003 im Irak der Fall. Mit dem Internationalen Strafgerichtshof wird also völkerrechtlich ein Anspruch erhoben, dessen konsequente Durchsetzung in den bisherigen Anfängen stecken bleibt, weil eben jenes Völkerrecht dieser Durchsetzung zum Teil konträr entgegenwirkt.
Da helfen alle juristischen Schönfärbereien nicht drüber hinweg. Ich will die bisherigen Erfolge des Gerichtshofs nicht schmälern, aber da ist noch Luft nach oben. Die wird ihm aber genommen, da keine Institution und kein Staat derzeit gewillt ist, daß Völkerrecht diesbezüglich konsequent weiterzuentwickeln (das die UNO seit kurzem zum Schutz der Bevölkerung eingreifen darf, ist ja auch eher eine laue Weiterentwicklung). Das hat zwei Gründe:
1. Keine Regierung will einen Präzedenzfall schaffen, es könnte sie selbst treffen. Egal wie man das System gestaltet, jede Regierung fürchtet selbst irgendwann auf der Abschußliste zu stehen und ihre Macht zu verlieren. Dies mag für demokratische Regierungen weniger als für die undemokratischen Regierungen gelten, aber nun ja, letztere bilden derzeit die Mehrheit.
2. Man bräuchte eigentlich eine militärische Weltpolizei. Das will aber eigentlich keiner mehr machen. Die USA hätten das mal gut machen können, aber wer immer es macht wird in Verruf geraten, daß haben alle spätestens seit 2003 gelernt. Und es kostet eigene Kohle, eigenes Blut...neee...unschön! Das kriegt man in einer Demokratie auch den Wählern daheim nicht verkauft.
Was zum anderen Punkt führt: Die selben Meinungsmacher, die die Anklage Gaddafis feiern und natürlich gerne jeden Diktator festnehmen würden, sind meistens auch eher pazifistisch gesinnt. Oder lehnen zumindest jeden Militäreinsatz von außen ab. Der Einsicht, daß die Festnahme etwa Gaddafis Krieg erfordert, verweigert man sich. Man hätte gern beides: Gerechtigkeit und Frieden. Und das beides sofort und gleichzeitig. Im Ernst: Das wäre mir auch lieber. Natürlich! Man müßte verrückt sein, wenn man das nicht wollen würde.
Nur kollidieren in diesem Fall offenkundig die Wünsche miteinander, will man sie in die Realität umsetzen.
Ja, man sollte vorsichtig sein, was man sich wünscht. Man kann auch nicht alles auf einmal haben.
Eine andere Lebensweisheit, diesmal von meinen Großeltern ergänzt das sehr gut: Manchmal muß es erst schlimmer werden, bevor es besser wird.
Die derzeitigen Entwicklung in Nordafrika sollten dazu anregen diese Problematik mal zu überdenken. Nichts zeigt mehr auf wie der Fall Gaddafi, daß das bisherige Völkerrecht an seine Grenzen stößt.
In diesem nachdenklichen Sinne - euer Pirat
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