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Donnerstag, 9. Februar 2012

ACTA

Ja, heute mal ein schlichter Titel XD

Heute fragte mich meine Bordfotografin, die gute Motzi, ob ich am Samstag mit zu einer Demo in Köln komme. Es handelt sich um eine Demo gegen ACTA, dem Anti-Counterfeiting Trade Agreement. Nähere Infos zur Demo auch hier bei Facebook:

http://www.facebook.com/events/207644835998103/

ACTA wird seit einigen Wochen heiß diskutiert. Einige Hintergrundinfos dazu finden sich u.a. bei Wikipedia. Die Proteste gegen diesen Vertrag sind auch nicht auf Köln oder gar Deutschland begrenzt, wie z.B. der Focus berichtet.

Die Anfrage von Motzi mußte ich leider abschlägig bescheiden. Der Pirat hat Grippe und der wird ein Tag bei kaltem Winterwetter auf einer Demo nicht so gut tun (oder eben doch, was mir aber nicht gut täte).
Davon unabhängig, hab ich mir natürlich so meine Gedanken gemacht. ACTA ist das nächste große Gefecht darum, festzulegen, wie wir online und im Bezug auf den Umgang mit geistigem Eigentum leben wollen. Die Grabenstellungen dabei sind klar definiert, wie zuvor auch schon, als es um Sperrung von Kinderporno-Seiten ging. Nur ist das Schlachtfeld diesmal wesentlich weniger abgegrenzt, da es nicht nur um Kinderporno-Seiten geht. Es geht um alles. Um die Inhalte des gesamten Internet. Die Staaten, die das ACTA-Abkommen aushandelten, und viele Wirtschaftsvertreter sehen das Ganze eher aus der Sicht: Es muß Recht und Ordnung herrschen, vorzugsweise, damit bei uns der Dollar fließt. Wer dagegen ist, ist ein weltfremder Hippie, der ja sowieso nicht seinen Beitrag leisten und partout nicht einsehen will, daß es so etwas wie illegales Verhalten gibt, daß es auch im Internet regeln gibt. Die Gegenseite - darunter viele Bürgerrechtsgruppen, die Piratenparteien in Europa, Globalisierungskritiker, die wahrscheinlich überwiegende Mehrheit der Internetnutzer - sieht ACTA als weitere große Verschwörung, den Bürger zu entmachten, uns zu überwachen, den freien Informationsaustausch im Netz zu unterbinden und - im schlimmsten Fall - die Demokratie abzuschaffen. Und überhaupt geht dann das Internet und damit die Welt unter.

Entsprechend sind die Demos mit den Guy Fawkes-Masken - derzeit etwas inflationär benutzt - ein längst bekanntes Ritual, ebenso wie vieles andere auch. Es werden Reden geschwungen werden, denen die Mächtigen nur in seltenen Fällen zuhören werden. Das Polen, Tschechien oder Lettland den Vertrag nicht ratifiziert haben, wird ihn vermutlich nicht aufhalten und ist höchstens ein symbolischer Sieg. Höchstens wird das Ganze dadurch verzögert. Die Regierungen interessiert so eine Debatte meist nur in Hinblick auf kommende Wahlen. Die größte Chance ACTA in der EU zu verhindern, wäre ein weiterer Zuwachs der Stimmen für die Piratenparteien in den nächsten Wahlen überall. Und dieser Zuwachs müßte sich halten: Sobald die Piraten wieder weniger gewählt werden und das Thema von der Agenda verschwindet könnten die Regierungsparteien ACTA wieder hervorholen und eben später ratifizieren. Die Demos werden für die Regierungen nur dann interessant, wenn sich die dort bekundeten Meinungen auch im Wahlverhalten niederschlagen. Da darf man wohl gespannt sein.
Die Teilnahme an der Demo ist zuvorderst gut für das eigene Gefühl, etwas "getan" zu haben.

Davon unabhängig illustriert das Ganze aber ein kommunikatives Problem: Das Unverständnis beider Seiten darüber, worüber der andere eigentlich redet. Genauso wenig wie jeder Internetnutzer ein kleiner krimineller Hippie ist, ist jeder Befürworter von ACTA ein reaktionärer Faschist, der den Menschen ihr Netz wegnehmen will. Für beide Sichtweisen gilt: Am Ende wird selten etwas so heiß gegessen wie gekocht.
ACTA gibt es in dieser Form vor allem auch deshalb, weil es erst jetzt, wo es akut wird, wahrgenommen wurde, auch von der Netzgemeinde und vielen Organisationen. Verhandelt wird darüber aber schon seit Jahren. Die Regierungen und die Wirtschaft haben eindeutig versäumt, Vertreter der bürgerlichen Bewegungen im Netz (um es mal so zu formulieren) einzuladen und konstruktiv mitarbeiten zu lassen. Aber die Kritikerseite hat auch versäumt und zwar jahrelang, genau eine solche Beteiligung einzufordern bzw. auch mal: anzubieten.

Das Internet bietet gigantische Chancen. Nicht alle wurden bisher genutzt. Es bringt aber auch Risiken und Probleme mit sich. Wie alles im Leben. Fragen des Urheberrechts gehören z.B. dazu. Oder die Kinderporno-Seiten. Usw. Das Internet verlangt dafür eigentlich nach neuen Lösungen und Lösungskonzepten. Regierungen und Wirtschaft haben darauf bisher vor allem aber mit Konzepten aus der alten Welt ohne Internet reagiert. In der Umsetzung dann bedeutet das oft, einen Verlust von schätzen gelernter Freiheit bei den Internetusern - und der Aufschrei ist da. Zumal immer der Pauschalverdacht mit dabei ist, auf beiden Seiten.
Das Ergebnis ist eine verfahrene Situation der Debatte, was dadurch verschärft wird, daß die Kritiker von ACTA und Befürworter von möglichst viel Freiheit im Netz zu selten bis gar nicht an die Gegenseite mit eigenen komplett durchdachten Vorschlägen für Lösungen und Lösungskonzepten herangingen (einige Vorschläge in der Kinderporno-Debatte um Zensursula waren da eine glorreiche Ausnahme). Man hat sich ja eigentlich nie an einen Tisch gesetzt. Dabei wäre das bitter nötig, denn das Internet gehört, wenn es denn allen gehören soll, auch den Befürwortern von ACTA und anderen Reglementierungen. Beide Seiten sollten anerkennen, daß die jeweiligen Ansichten durchaus berechtigten Sorgen des jeweils anderen entspringen. Und dann über Lösungen reden und verhandeln. Dabei sollte auch die Internetgemeinde akzeptieren können, daß nicht alle ihre Vorschläge eins zu eins umgesetzt werden, bei Verhandlungen muß am Ende jeder Abstriche machen (normalerweise).
Die Alternative ist weiterhin der bereits bekannte, eventmäßige Kleinkrieg, bei dem auf Dauer ein Patt herauskommt, daß die Wirtschaft viel Geld und den einfachen Bürger in einigen Fällen womöglich tatsächlich seine Freiheit kostet. Und zwar solange, bis die älteren Garden aus den Entscheidungsgremien komplett abgetreten sind und die Generation, die seit ihrer Geburt mit dem Internet in seiner jetzigen Form aufgewachsen ist, in die Entscheidungsgremien aufgerückt ist.

Es darf jeder durchrechnen wie lange das dauert. Wollen wir wirklich so LANGE warten?

In diesem Sinne,
euer Pirat

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